Kopffreiheit 1

Dieses ist ein Beitrag zum Projekt des Wortmischers ‘Kleider machen Leute’.

Wenn wir denken
sagt Herr Ösi
wenn wir also richtig denken
wenn wir uns anschicken
richtig und konzentriert zu denken
dann brauchen wir
die nötige Kopffreiheit

Kopffreiheit

ohne ausreichende Kopffreiheit
ist das konzentrierte und richtige Denken
nicht möglich
ohne Kopffreiheit
denkt der Mensch
wenn er denn denkt
allenfalls Unsinn
so Herr Ösi
der Unsinn in den menschlichen Köpfen
ist überwiegend
wenn nicht ausschließlich
auf die fehlende Kopffreiheit zurückzuführen
in einer Zeit wie der unseren
die vom Unsinn in den Köpfen geprägt ist
ohne ausreichende Kopffreiheit
wiederholt Bernhard der Staubsaugerbeutelvertreter
die Kopffreiheit nicht ausreichend
weil in den meisten Köpfen nur Unsinn
die Kopffreiheit
so Herr Ösi weiter
einerseits
einerseits die Kopffreiheit
das heißt die Freiheit im Kopfe
die Freiheit zum eigenständigen Denken
das ungehinderte Zirkulieren von Gedanken
das gut durchlüftete Gehirn
und so weiter
andererseits die Freiheit über unseren Köpfen
einerseits die innere
andererseits die äußere Kopffreiheit
quasi die Luft
die über unseren Köpfen schwebt
das ist das Entscheidende
einerseits andererseits
wiederholt Bernhard
einerseits der Unsinn im Menschen
andererseits der unsinnige Mensch
fehlt dem Menschen
sagt Herr Ösi
die innere oder die äußere Kopffreiheit
bringt der Mensch
nichts weiter zustande als Unsinn
wir sehen Unsinn wohin wir schauen
gehen wir hinaus ins Freie
gehen wir hinein in die Natur
möglicherweise sogar in den Wald
obwohl wir ihn meiden sollten
weil wir glauben
die Natur müsse uns beflügeln
blockierte Gedanken frei machen
et cetera
aber die Natur
einerseits anderseits
grübelt Bernhard
Schmarren
sagt Herr Ösi
die Natur macht unsere Gedanken nicht frei
im Gegenteil
das Zirkulieren tausender Gedanken
gedacht von tausenden Menschen
die nichts weiter als Unsinn im Kopf haben
machen die Natur zu einem Ort
den wir tunlichst meiden sollten
die Unsinnigkeiten tausender Gedanken
und oder Menschen
die gerade in der freien Natur
ungehindert herum schwirren
und zum größten möglichen Unsinn
den man sich vorstellen kann
unter dem freien Himmel verschmelzen
ein Unsinn
der nur darauf wartet
in unsere Gehirne einzudringen
unsere Gedanken zu unterwandern
der frei herum schwebende Unsinn
sagt Herr Ösi
ist für das menschliche Auge
genauso unsichtbar
wie die unzählig geführten Handygespräche
die ja zwangsläufig
auch durch die Natur zirkulieren
Millionen von Handygesprächen
zusammen mit Millionen von gedachten
aus- oder nicht ausgesprochenen Gedanken
ergeben einen riesigen Cocktail aus Unsinn
vor dem der Mensch geschützt werden muss
am besten durch die geeignete Kopfbedeckung
die geeignete Kopfbedeckung
wiederholt Bernhard
den Menschen schützen
durch die geeignete Kopfbedeckung
die Baseballkappe
sagt Herr Ösi
nehmen wir die Baseballkappe
die Baseballkappe ist
wie das meiste
das wir gierig und ohne nachzudenken
aus Übersee importieren
von all den ungeeigneten Kopfbedeckungen
die ungeeignetste
die Baseballkappe hindert
weil direkt am Kopfe sitzend
aufsitzend
auf dem Kopfe aufsitzend
das konzentrierte Denken
die Baseballkappe
so leid es mir tut
engt die Gehirne ein
und also befördert den Unsinn
anstatt ihn zu verhindern
alles direkt am Kopfe aufsitzende
wie die Baseballkappe
ist strikt zu vermeiden
wenn wir uns anschicken
richtig und konzentriert zu denken
nicht die Baseballkappe
bestätigt Bernhard
die Baseballkappe nicht
keine aufsitzende Baseballkappe
auf keinen Fall die Baseballkappe
der Zylinderhut von anno dazumal
sagt Herr Ösi
ist der richtige Ansatz
schick und elegant im Aussehen
ein originelles Kleidungsstück
mit einer Prise Nostalgie
wenngleich nicht richtig zu Ende gedacht
die Herrschaften
im 18. und 19. Jahrhundert
haben ihre Gedanken
aufgrund fehlender Kopffreiheit
meist nicht richtig zu Ende gedacht
genauso wie die Leute heutzutage
unter ihren bunten Baseballkappen
die sie millionenfach aus Übersee importieren
ihre Gedanken nicht richtig zu Ende denken
nicht richtig zu Ende denken können
weil Null Prozent Kopffreiheit
dagegen der Zylinderhut
Herr Ösi
sagt Herr Ösi
hat das nun geändert
hat den Zylinderhut
der ein unberechtigtes Schattendasein führte
sich erneut vorgenommen
hat ihn studiert und überarbeitet
das Resultat
praktisch eine Revolution
im Bereich der funktionalen Bekleidung
der Ästhetik von damals
hat er den geistigen Mehrwert
von heute hinzugefügt
den Zylinderhut neu aufgelegt
der neu aufgelegte Zylinderhut
sagt Herr Ösi
weist eine Höhe von 2 Meter 53 auf
phantastique non
der höchste Hut der Welt
vom Zuckerhut mal abgesehen
aus dem Hause Ösi
formschön und vor allem konzipiert
dem menschlichen Unsinn ein Ende zu bereiten
2 Meter 53
was für eine Kopffreiheit
2 Meter 53
die die Welt verändern werden
der geringste Luftzug … und ffft
gibt Bernhard zu bedenken
papperlapapp
winkt Herr Ösi ab
papperlapapp
2 Meter 53
das Resultat ausgeklügelster Berechnungen
und das funktioniert so
die Gedanken entweichen dem Kopf
steigen im Zylinder empor
ähnlich der warmen Luft
die von der Erde aufsteigt
oben angekommen
quasi Abkühlung der Gedanken
bildlich gesprochen
sie befreien sich vom Ballast
schütteln das Unnötige ab
und sinken geklärt wieder Richtung Kopf
dringen in diesen ein
um erneut durchdacht zu werden
dann wieder die Entweichung durch den Kopf
der Aufstieg im Zylinder
und so weiter
mit einem jeden Umlauf
mit einer jeden Zirkulation
abseits störender Einflüsse von außen
werden die Gedanken klarer
klarer und klarer
kristallklar und scharf
bis man ein gläsernes Klirren hört
in diesem Zustand
in dieser vor Reinheit klirrenden Situation
haben die Gedanken
die allerhöchste Präzision erreicht
die Gedanken je erreichen können
praktisch die Geburtsstunde
des Neuen Menschen

13 Gedanken zu “Kopffreiheit 1

  1. Ich vermisse den Link, wo der Zylinder käuflich zu erwerben ist. Aber vermutlich kann ich ihn mir eh (noch) nicht leisten. Hülfe ein selbst gebastelter aus Pappendeckel auch? Quasi als Übergangslösung natürlich nur.

    Wieder mal herzerfrischend, der Text. Und die Grafik als Sahnehäubchen …

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  2. Wenn man von Zauberkünstlern und anderen Artisten absieht, die den Zylinder als Requisit Ge- und mißbrauchen habe ich ihn das letzte mal in den frühen 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Öffentlichkeit wahrgenommen:

    An unserer Schule kam ein Beerdigungszug vorbei. Der Wagen mit dem Sarg wurde von Pferden gezogen (damals gab es selbst in einer Großstadt nur geringen Autoverkehr), die Männer unter den Trauernden, die dem Wagen zu Fuß folgten, trugen überwiegend Zylinder.

    Es tut mir leid, das er verschwunden ist und ich hoffe, das in deinem Vorschlag, ihn als „Denkanreger“ einzusezten von Erfolg gekrönt ist und ihm eine neue Zukunft beschert.

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  3. Ja, ja, der Zylinder ist viel zu teuer, gerade jetzt, wo er noch nicht mal offiziell vorgestellt, im Handel und so weiter …

    Und nein, nein, du braucht ihn nicht, er ist ja bloß für die kleine Minderheit von 99,999 periodisch % der Leute gedacht, die nicht eigenständig denken können …

    Der Zylinder müsste eigentlich der Renner werden, ich bleibe aber, wie meistens, vorsichtig optimistisch, man weiß ja nie …

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  4. Ich bin ja, abgesehen von kalten Wintertagen, überhaupt kein Kopfbedeckungsträger, weil glücklicherweise noch ein paar, wenn auch graue, Haare auf dem Kopf.

    Aber ein Zylinder hat schon was Edles.

    Wenn durch meine Erfindung – wider Erwarten – die Menschheit nicht intelligenter werden sollte, so könnte man ihn als Werbeträger nutzen, indem man ihn als Aufbewahrungsort für Smartphones nutzt, die ja ständig größer werden und die keiner mehr in irgendwelchen Klamottentaschen mit sich führen kann …

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  5. Pingback: Kopffreiheit 2 | oesiblog

  6. Pingback: Kleider machen Leute – von A bis Z | Wortmischer

  7. Im Zylinderhut hätten auch immer noch ungezählte Kaninchen Platz. Deine philosophischen Überlegungen zur Kopffreiheit finde ich beeindruckend, Herr Oesi, und ich möchte sie ernsthadft bekräftigen. Seitdem ich nämlich in meiner letzten Aachener Altbauwohnung vier Meter hohe Decken hatte, wollte ich nie mehr in Räumen mit nur 2,40 m Deckenhöhe leben. Ich glaube, dass bei mehr Kopffreiheit andere Gedanken, anderer Unsinn gedacht wird als unter niedrigen Decken.

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